Warum langsam manchmal schneller ist
- Benjamin Gehrmann
- 2. Aug. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen
Im CrossFit geht es immer darum, das Workout am schnellsten zu beenden, die meisten Wiederholungen in der vorgegebenen Zeit zu absolvieren oder das schwerste Gewicht zu stemmen. So passiert es nicht selten, dass ambitionierte Athletinnen und Athleten wirklich in jedem Training an ihre Grenzen stoßen und diese teils sogar überschreiten. Die eigenen Grenzen kennenzulernen ist in unserem Sport zwar wichtig, aber auf lange Sicht wird uns dieses tägliche "Abschießen" nicht weiterbringen.
“In training, you listen to your body. In competition, you tell your body to shut up.” - Rich Froning Jr.
"Go hard or go home" oder "always be the hardest working person in the gym" waren Mottos, nach denen ich eine lange Zeit trainiert habe. Das kann gut gehen, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht. Der Körper regeneriert nicht mehr ausreichend und gerät mehr und mehr aus dem Gleichgewicht. Schlimmstenfalls kommt es auch noch zu akuten oder chronischen Verletzungen, die den Trainingsfortschritt weiter ausbremsen.
Bevor man sich also mit solchen plakativen Aussagen in jeder Trainingseinheit komplett abschießt und damit sein gesamtes Potenzial zunichte macht, sollte man einen kurzen Blick in die Wissenschaft werfen.
Wie passt der Körper sich an sportliche Belastungen an?
1. Die Homöostase
Unter Homöostase versteht man ein biochemisches Gleichgewicht von aufbauenden (anabolen) und abbauenden (katabolen) Prozessen. Vereinfacht gesagt, baut der Körper beispielsweise durch Training geschädigtes Gewebe ab (katabol) und baut im Gegenzug neues Gewebe auf. Der Körper strebt stets nach einem Gleichgewichtszustand. Äußere Reize wie z. B. Training (oder auch kein Training siehe "Deadaption") bringen den Körper aus dem Gleichgewicht. [1, 2]
2. Prinzip der Superkompensation
Das Prinzip der Superkompensation befasst sich mit der Anpassung der sportlichen Leistungsfähigkeit über das ursprüngliche Ausgangsniveau hinaus. Während des Trainings werden beispielsweise die Glykogenspeicher geleert und der Körper ermüdet zunehmend. Anschließend folgt die Regenerationsphase, in der der Körper seine geleerten Speicher über das Ausgangsniveau wieder auffüllt. Optimalerweise erfolgt das nächste Training genau dann, wenn die Speicher maximal gefüllt sind. [3, 4]

Das Problem an diesem Prinzip:
unterschiedliche Superkompensationszeiten von Funktionssystemen
Mitochondrien, Kapillaren und Muskelprotein gehen bspw. nicht zurück
tägliches Training mit Ganzkörperbelastung
Ausdauertraining wirkt anders auf den Körper als Krafttraining
Training verfügt neben biologischen Prozessen auch Prozesse des Lernens
-> In der Trainingspraxis ist "der perfekte Zeitpunkt des wiederholten Trainingsreizes" nur schwer zu treffen. Zudem sollte klar sein, dass ein endlos linearer Fortschritt nicht möglich ist. Das Prinzip der Superkompensation bleibt also nur ein vielfach begrenztes Modell, welches der Komplexität eines täglichen Trainings nur schwer gerecht wird. Daher geht man heutzutage eher von einem Vierstufenmodell der Anpassung aus.
3. Das Vierstufenmodell der Anpassung [4]
Erste Anpassungsstufe: Veränderung im Bewegungs-programm | Zweite Anpassungsstufe: Vergrößerung der Energiespeicher | Dritte Anpassungsstufe: Optimierung geregelter Systeme und Strukturen | Vierte Anpassungsstufe: Koordinierung leistungs-beeinflussender Systeme |
|---|---|---|---|
Veränderungen im Bewegungs-programm: Verbesserte Ansteuerung | Kurzzeitiger Energiespeicher: Kreatinphosphat Zunahme durch hochintensive Reize von ca. 6 s | Ausdauertraining: Oxidative Kapazität steigt (Glucose- und Fettsäurenumsatz) durch Mitochon-drienzunahme | Vegetative und zentrale Nervensystem, kardiopulmonale System, Elektrolyt-haushalt, Energiestoffwech- sel, Hormonsystem Immunsystem |
Verbesserung der inter- und intramuskulären Koordination | Langfristiger Energiespeicher: Glykogen Zunahme durch aerobe Belastungen über 120 min oder aerob-anaerobe Belastungen bis zu 70 min | Kraft - und Kraftausdauer-training: Proteinsynthese steigt -> Muskelhypertrophie | ab 30. - 40. Tag: Abstimmung zwischen ZNS und Muskelstruktur |
Zunahme der Glykogenspeicher in Muskulatur und Leber | Dauerbelastungen steigern zudem die Mitochondrien-biogenese | Funktions-optimierung ist sehr anfällig für Störungen -> Reduzierung der Gesamttrainings-belastung notwendig | Kompletter Muskel nach ca. 50 Tagen komplett verändert |
Dauer: ~ 7-10 Tage | | Dauer: ~ 7 Wochen |
Das Vierstufenmodell der Anpassung liefert also folgende Punkte, die in der Trainingspraxis beachtet werden müssen:
Nach ca. drei Wochen der Belastungssteigerung, ist es wichtig eine Reduktion der Belastung in Woche vier durchzuführen. Viele kennen dies als "Deload". Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten einen Deload durchzuführen, aber das ist ein anderes Thema.
Je nach Trainingsziel ist es notwendig, einen Trainingszyklus länger zu gestalten. Die Kraft lässt sich relativ schnell steigern. Anpassungen an Ausdauertraining brauchen etwas mehr Zeit und Muskelaufbau deutlich länger. Natürlich spielen hier weitere Faktoren wie Alter, Geschlecht, Trainingsstand, etc. eine wichtige Rolle
4. Einfluss des Alters auf die individuelle Trainingsanpassung
Mit fortschreitendem Alter wird die Erholung von Trainingsreizen langsamer. Junge Athleten können bei starken Abweichungen der Homöostase wieder schneller in den Ausgangszustand zurückkehren. Sie erholen sich also schneller von stärkeren Trainingsreizen. [5]

5. Fazit
Was haben all diese Prinzipien gemeinsam?
Es geht im Allgemeinen immer um die Regenerationsfähigkeit.
Je besser und schneller wir regenerieren, desto kürzer werden die Phasen der Superkompensation. Wir passen uns schneller gegebenen Trainingsreizen an, erholen uns leichter und können somit öfter und gegebenenfalls härter trainieren.
Warum ist "langsam nun schneller"?
Die Regenerationsfähigkeit wird zum großen Teil von der Grundlagenausdauer beeinflusst. Je besser diese ist, desto besser wird die Regeneration des Athleten sein. Das konnte ich selbst am eigenen Leibe erfahren. Ich bin lange Zeit immer mit dem Fahrrad in das Training gefahren. Das waren etwas mehr als 40 Minuten Sport im Grundlagenausdauerbereich und das fünfmal pro Woche. Irgendwann kam das Auto und somit ist dieser wichtige Bestandteil des Trainings weggefallen. Damit kamen die ersten Wehwehchen. Sehnen die sich beschwerten, längerer Muskelkater, höherer Puls (unter Belastung und in Ruhe) und und und. Ich habe weiterhin hart und intensiv trainiert, was aber fehlte war das ruhige Training. Zwar wurde ich im Bereich der hohen Intensitäten besser, aber meine Regeneration litt unter der Abwesenheit von Grundlagenausdauer.
Was habe ich nun geändert?
“In training, you listen to your body. In competition, you tell your body to shut up.”
Ich habe begonnen, auf meinen Körper zu hören. Essentiell ist hierfür ein Pulsmessgerät, das möglichst genau die Herzfrequenz während des Trainings misst
mittlerweile fahre ich wieder so oft es geht mit dem Fahrrad ins Training
Deload bleibt Deload
nicht jedes Training sollte mich an die Grenzen bringen. Mindestens zwei Einheiten pro Woche dienen dem Training von Grundlagenausdauer (Pulsbereich zwischen 65-75%)
vor allem mit fortschreitendem Alter wird das Grundlagenausdauertraining immer wichtiger
An der Stelle mal ein kleines Danke an meinen Coach Franz Jacobi, der mich immer wieder mühsam daran erinnert, dass ich nicht jedes Workout mit einem 190er Puls durchballern muss.
6. Quellen
[1] Badtke, G. (2010). Sportmedizin für Ärzte: Lehrbuch auf der Grundlage des Weiterbildungssystems der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP); mit 109 Tabellen. Deutschland: Dt. Ärzte-Verlag.
[2] https://www.academyofsports.de/de/lexikon/homoeostase/
[4] Hottenrott, Kuno. (2010). Ist das Superkompensationsmodell noch aktuell?. Leistungssport. 2. 13-19. Zuletzt aufgerufen am 28.July 2022 unter: https://www.researchgate.net/publication/278300295_Ist_das_Superkompensationsmodell_noch_aktuell+
[5] Pomatto, L.C.D. and Davies, K.J.A. (2017), The role of declining adaptive homeostasis in ageing. J Physiol, 595: 7275-7309. https://doi.org/10.1113/JP275072. Aufgerufen am 01. August 2022 unter: https://physoc.onlinelibrary.wiley.com/action/showCitFormats?doi=10.1113%2FJP275072
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Sollten sich Alle Sportler dran halten! Erst denken dann Leistung erbringen 👌🏻🏋️